Clemens Schöll
Courtesy Clemens Schöll. Copyright: Ortrun Bargholz
Im Mittelpunkt der Ausstellung „Die Revolution wird nicht automatisiert sein“ steht das „kleine Automatisierungstheater“. Die 17-minütige vollautomatische Puppentheater-Installation erzählt mit klassischen Handpuppen die Geschichte des Wohnungsbots. Der Wohnungsbot ist eine freie, quelloffene Software, die Clemens Schöll entwickelt und 2019 veröffentlicht hat. Die Software fungiert als „Ibuprofen für die Wohnungssuche“ und befreit die Menschen scheinbar von den Symptomen des Berliner Mietwahnsinns. Nach einer anfänglichen Euphorie wendet sich die Situation im Stück jedoch gegen die Wohnungssuchenden und es stellt sich die Frage: Kann es technische Lösungen für soziale Probleme geben?
Das Puppentheater ist der dritte und letzte Teil des Werkzyklus „Von einem, der auszog, eine Wohnung in Berlin zu finden“ - Ein Automatisierungsdrama in drei Akten“. Ausgehend von der Suche nach einer Wohnung in Berlin und den damit verbundenen Problemen thematisieren die Arbeiten die aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen durch die Automatisierung. Diese verspricht Befreiung von der Arbeit, wirkt sich aber oft auf wenig sichtbare Weise zum Nachteil bereits prekär lebender Bevölkerungsgruppen aus. Die Figuren und das Puppentheater spielen mit den technologischen Kontexten und ihren stereotypen Rollen im Format und in Metanarrativen.
Clemens Schölls Arbeit mit dem automatisierten Puppen- und Objekttheater sucht nach narrativen Formen, um Automatisierung, technische Systeme und ihre sozialen Folgen greifbar und sichtbar zu machen. Die Abwesenheit einer spielenden Person verlagert den Fokus vom psychologischen Subjekt auf die Maschinerie als Symbol für die Handlungsstrukturen. Die Vertrautheit der Figuren und ihr Witz laden dazu ein, sich auf die komplexen und abstrakten Zusammenhänge einzulassen.
Clemens Schölls Arbeiten mit automatisiertem Puppen- und Objekttheater suchen nach narrativen Formen, um Automatisierung, technische Systeme und ihre gesellschaftlichen Folgen erfahrbar und sichtbar zu machen. Die Abwesenheit einer spielenden Person verlagert den Fokus vom psychologischen Subjekt auf die Maschinerie als Symbol für die Handlungsstrukturen. Die Vertrautheit der Figuren und ihr Witz laden dazu ein, sich auf die komplexen und abstrakten Zusammenhänge einzulassen.
How is Today
Mixed media (series), 2021
Diese dreiteilige Mixed-Media-Serie geht von einem YouTube-Screenshot aus dem Jahr 2019 aus, um über unsere umfragegesteuerte Gesellschaft der „Kundenzufriedenheit“ zu reflektieren.
Der Ausgangspunkt und erste Teil der Arbeit mit dem Untertitel „Extrem gute Kundenzufriedenheit“ wird als einfacher Ausdruck von YouTube präsentiert. Vor dem Hintergrund des Videos, das durch das Meme Rickrolling legendär wurde, schwebt ein Pop-up: Wie ist YouTube heute? Die über-affirmativen, über-positiven Antwortmöglichkeiten machen die unscheinbare Box zum Sinnbild der Bewertungskultur. Ständig wird alles (positiv) bewertet und im Hintergrund, meist unsichtbar, werden die Bewertungen automatisch zu disziplinierenden (negativen) Zwecken im selben Kurs verwendet.
In den folgenden Teilen der Serie verschiebt sich dieses Priming in Richtung der Zuschauer: Die vermeintlich empathische Frage „Wie geht es Ihnen [heute]?“ wird sowohl zu einem Druck, sich gut zu fühlen, als auch zu einer Auslagerung tatsächlicher empathischer und emotionaler Arbeit.
Eingravierter Spiegel, 60×47cm
Der letzte Teil ist ein (echtes) Feedback-Terminal, das getrennt von den anderen Teilen am Ausgang der Ausstellung aufgestellt ist, ohne dass es als Kunstwerk gekennzeichnet ist. Es schließt den Kreis, indem es den Betrachter und die Ausstellung denselben quantifizierten Bewertungsprinzipien unterwirft.
Sind Sie mit dem heutigen Besuch zufrieden? Und was sind die Auswirkungen Ihrer (Un-)Zufriedenheit?
Wie ist es heute? (Extrem gute Zufriedenheit mit der Ausstellung)
Feedback-Terminal („ready-made“) mit individuellem Aufdruck.
0% virtual reality / 100% virtual reality
mit Ortrun Bargholz
Smartphones schieben Geldscheine mit Motiven barocker Architektur in zwei Plastikpappbetrachter. Ist das die echte virtuelle Realität?
Von „Promised Reality“:
Durch diese unerwartete Verwendung der VR-Brille werden die Rezipienten mit der Frage konfrontiert, was überhaupt mit „virtueller Realität“ gemeint ist. Die Bedeutung als etwas, das „nicht physisch existiert, sondern durch Software zum Erscheinen gebracht wird “1 im Sinne einer digital erzeugten 3D-Umgebung hat sich erst mit der zunehmenden Verbreitung von Computern durchgesetzt. Seit dem 15. Jahrhundert wird unter „virtuell“ etwas verstanden, „das seinem Wesen oder seiner Wirkung nach etwas ist, auch wenn es nicht real oder faktisch ist“.
2 So ist auch die Idee eines Nominalwerts des Geldes völlig virtuell.
Einige Betrachter der Arbeit mögen enttäuscht sein, da sie die VR-Brille als Objekt bereits als ein technologisches Versprechen sehen, das nicht eingelöst wird. Die Arbeit bietet jedoch reichlich virtuelle Realität: Geldscheine, fiktive Architektur auf Geldscheinen, historisierende Fassadenelemente an einem neuen Betongebäude sowie historisierende Fassadenelemente auf Geldscheinen. Nach Guy Debords Verständnis in La société du spectacle (Die Gesellschaft des Spektakels) sind viele Elemente, die in früheren Gesellschaften direkt erfahrbar gewesen wären, unter modernen Produktionsbedingungen in eine Imagination oder Repräsentation „entkommen“.3 Die auf den Geldscheinen abgebildeten Architekturen sind echte Simulakren im Sinne Jean Baudrillards, weil sie der Realität vorausgehen.4
¹ „Virtual“. „not physically existing but made to appear by software“
2 „Virtual“. „being something in essence or effect, though not actually or in fact“
3 Debord, La société du spectacle, These 1. „Tout ce qui était directement vécu s’est éloigné dans une représentation.“
4 Baudrillard, Simulacres et simulation.