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Dystopie als Katharsis
Mihai Grecu, geboren 1981, Rumänien, Bildende Künstler, Videokünstler.
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Marteu, 2020. Courtesy of the artist.
Sein Oeuvre zeichnet sich durch einen einzigartigen Duktus aus, der den Betrachter in eine Welt meist dystopischer audiovisueller Szenarien entführt. Diese schafft er nicht nur aus Symbolfiguren und Architektur, sondern stellt sie auch in einen anderen Kontext, was unweigerlich Fragen nach Realität und Plausibilität aufwirft. Wie zum Beispiel in seiner aktuellen künstlerischen Auseinandersetzung mit Kim Jong-un.
Art Claims Impulse ist sehr glücklich, ihn jetzt bei uns willkommen zu heißen.
*ACI = Abkürzung für Art Claims Impulse
ACI: Hallo Mihai, wir hoffen, Du bist gesund und munter. In der gegenwärtigen Pandemiesituation wird der Wunsch, gesund zu sein, heutzutage sehr wichtig. Wie beeinflusst Corona Dein Leben als Künstler?
Mihai Grecu: Meine Arbeit war immer mit Themen wie Katastrophe, Dystopie usw. verbunden. Als ich das erste Mal die Ausbreitung des Coronavirus bemerkte, wurde es immer merkwürdiger, wie ein lebender Alptraum. Ich konnte buchstäblich sehen, wie Elemente aus dystopischen Visionen die Realität übernahmen und wie sich dies auf globaler Ebene abspielte. Wie wirkte es sich auf mich persönlich aus: Mein Alltag war letztlich nicht so stark beeinträchtigt, da ich normalerweise überfüllte Orte meide und mich an die Hygienerichtlinien halte; was mich jedoch am meisten betroffen hat, war der Wandel meiner menschlichen Beziehungen. Corona an sich hatte einen großen Einfluss auf meine künstlerische Arbeit. Im April 2020 wollte ich in Rumänien ein großes Filmprojekt durchführen, das Teil eines neuen Projekts ist, und alles wurde verschoben. Viele Elemente des Drehplans müssen völlig neu überdacht werden, da das Coronavirus wahrscheinlich auch nicht in naher Zukunft verschwinden wird.
Burned Field, 2015, courtesy of the artist.
ACI: In unserem vorherigen Gespräch hast Du erwähnt: "Mit meinem künstlerischen Schaffen versuche ich, mir verborgene Versionen der Welt, mögliche Zukünfte und verzerrte Realitäten darzustellen." Das ist spannend, glaubst Du, dass dies nur durch Kunst möglich ist, und inwieweit würdest Du Deinen Ansatz als einen zeitgenössischen politischen Akt sehen, wenn überhaupt?
Mihai Grecu: Ich denke, es gibt verschiedene Medien, mit denen unterschiedlichste Zukunftsszenarien beschrieben werden können, wie zum Beispiel, die Literatur und Film.Mein Ansatz ist die technische Umsetzung dieser Visionen in Bilder, die das Auge wahrnimmt und der Verstand als solches erkennen kann; also verborgene Dimensionen der Realität. Ich erschaffe nicht unbedingt Bilder mit einem politischen Zweck, aber politisch werden sie immer dann, wenn sie einem Publikum gezeigt werden. Jedes Bild, das sich mit der Neuevaluierung oder Verzerrung des gegenwärtigen sozialen Miteinanders beschäftigt, wird unweigerlich zum politischen Akt.
ACI: Wir haben in unserem letzten Gespräch ebenfalls über Ästhetik gesprochen, und Du hast geantwortet, dass Du hyperrealistische Visionen von unmöglichen Ereignissen und Orten schaffen möchtest. Wenn ich an Deine aktuelle künstlerische Debatte über Kim Jong-un denke, woher kommt diese Faszination und warum hast Du z.B. in "Red Water", 2020 (Großformat Fine Art Print) diese Ästhetik gewählt, die sich leicht von Deinem früheren ästhetischen Ansatz unterscheidet?
Red Water, 2020. Courtesy of the artist.
Mihai Grecu: Ich bin in den letzten Jahren von Ceausescus Diktatur in Rumänien aufgewachsen, als der Personenkult um ihn sein Extrem erreichte. Die ersten "Medienbilder", mit denen ich in Kontakt kam, bestanden also zu 99 Prozent aus Ceausescu. Außerdem hing er immer mit seinen "Freunden" herum, zum Beispiel mit Mobutu, dessen gesamten Namen ich für die Grundschule auswendig lernen musste. Seitdem kann ich seinen Namen nie mehr vergessen, und ich kann ihn sogar um 3 Uhr morgens rezitieren: Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu Wa Za Banga.
Ein anderer Staatsführer, der in meinen Erinnerungen an diese Zeit eine wichtige Rolle spielte, war Kim Il Sung, der Großvater des heutigen Kim. Nachdem die meisten Bilder dieses Propaganda-Persönlichkeitskults mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges ausgelöscht wurden, verfolgte ich aufmerksam, was in Nordkorea geschah, und bin immer noch erstaunt, dass es immer noch weitergeht. Es ist wie eine "konzeptuelle Insel" der Vergangenheit, an die ich mich aus meiner frühen Kindheit erinnere. Das ist der Grund, warum mich die Propagandabilder und die Selbstinszenierungen der Kim-Dynastie immer noch interessieren. Diese Ästhetik, die sich auf Propaganda vom stalinistischen Typ bezieht, ist nur eine Fortsetzung meiner früheren Arbeiten, denn ich möchte so etwas wie ein komplexes Universum mit mehreren Teilen schaffen, die alle miteinander verbunden sind.
Statue, 2020, courtesy of the artist
ACI: In Deinem neuesten Werk Saturnism, (Virtual Reality Artwork), welches von der Saturn-Mythologie inspiriert ist, können wir deutlich eine neue künstlerische Diskussion erkennen, die nun auch eine so genannte "Altmeister"-Debatte über antike Mythologien beinhaltet. Was ist Deine Motivation, ist dies der Beginn eines neuen Kapitels?
Mihai Grecu: Goyas "Saturn" ist ein weiteres Bild, das mich lange Zeit verfolgt hat. Diese besondere Arbeit entspringt meinem Wunsch, ein Gemälde "alter Meister" in virtueller Realität nachzubilden, und so habe ich mich natürlich für "Saturn" entschieden. Ich habe mehrere Monate von Angesicht zu Angesicht mit seiner Reproduktion verbracht und versucht, über jede Schicht des Bildes hinauszugehen und mir vorzustellen, was sich in diesem Raum des Gemäldes abspielt. Auch wenn es wie ein ganz anderes Werk aussieht als das, was ich normalerweise mache, denke ich, dass es auf der konzeptuellen Seite mit den anderen meiner Projekte verbunden ist. Nichtsdestotrotz wollte ich das Medium der Virtuellen Realität so verwenden, wie es verwendet werden sollte: als eine direkte Umgebung für die Wahrnehmung des Betrachters: Ich wollte, dass es eine rohe und beunruhigende physische Erfahrung ist.
Saturnism, 2019, Excerpt from VR-Installation. Courtesy of the artist.
ACI: In unserem Vorgespräch erwähntest Du Dein gegenwärtiges Interesse an der Post-Truth. Woher kommt dieses Interesse? Wie kann Kunst ein Werkzeug sein, um dieses Thema der Post-Truth zu diskutieren, wenn man bedenkt, dass Du entsprechend Deiner künstlerischen Fähigkeit ein völlig losgelöstes, künstliches Szenario erschaffst, das der künstlerischen Freiheit entspricht und somit ihrer eigenen Dynamik, nämlich der des Künstlers, unterliegt?
Mihai Grecu: Das Interesse an der Post-Wahrheit kommt von der Idee, die Geschichte neu zu schreiben, vor allem weil wir in einer Welt leben, in der die Post-Realität mindestens ebenso wichtig geworden ist, wie die Realität. Wir leben in einer Welt, in der gefälschte Nachrichten die Menschen mindestens ebenso stark beeinflussen wie "echte" Nachrichten, so dass die Frage lautet: Wenn es mehr Menschen gibt, die bereit sind, eine falsche Tatsache als "Realität" zu akzeptieren, als Menschen, die bereit sind, die Informationen aus wissenschaftlichen Quellen zu überprüfen, macht das die "Fälschung" gleich "echt" wie eine bestätigte Tatsache? Schauen Dir zum Beispiel Rumänien während dieser Coronavirus-Pandemie an: In Rumänien gibt es statistisch gesehen mehr Menschen, die bereit sind, Dinge wie "das Coronavirus existiert nicht, es ist eine Verschwörung" oder "es wurde von ausländischen Agenten entwickelt, damit sie Rumänien seinen Reichtum wegnehmen können" usw. zu glauben, als Menschen, die akzeptieren, dass es einen neuen Virusstamm und eine neue Krankheit gibt, die sehr ansteckend ist. Und in ihrer Zahl werden diese Leute, die alle Arten von "Fake News" glauben wollen, immer zahlreicher, je mehr sie andere von ihrer Version der "Wahrheit" überzeugen, werden statistisch gesehen, Fake News und Post-Wahrheit immer mehr zu einer Tatsache. Die neuen Medien machen es noch einfacher, dank neuer technischer Errungenschaften, wie "neuronale Netze" oder dank kollektiver Arbeit, "russischen Facebook-Trolle" .
Meine Idee ist, dass "Post-Truth" nicht schon von vornherein ein Künstlerstatement ist, sondern ein Medium an sich, und ich bin bereit, diese Medien bei der Erstellung von Kunstwerken einzusetzen. Es gab schon früher Performance-Kunst oder Dokumentarfilme die bereits „Keime dieser Post-Truth“, die wir jetzt gerade erleben in sich trugen, aber mit dem Unterschied, dass sie heutzutage allgegenwärtig sind und einen großen Teil der Gesellschaft erobert haben. Sie haben deshalb nichts mehr direkt mit dem künstlerischen Schaffen zu tun.
Um auf den ersten Gedanken zurückzukommen: Ich interessiere mich für die Post-Truth, weil ich glaube, dass es einfacher geworden ist, Geschichte zu manipulieren und deshalb neu zu schreiben: Vielleicht werden in 50 Jahren einige dieser "gefälschten Nachrichten", die wir jetzt haben, zu historischen Fakten.
Für mich vermischen sich gerade Fake News und Post-Truth irgendwie mit den Konzepten von Propaganda und einseitiger Geschichte, die in totalitären Regimes (wie dem Stalinismus oder Nordkorea) ihren Höhepunkt erreicht haben, nur dass sie eben jetzt global und facettenreich geworden sind. Es ist der perfekte Zeitpunkt, diese Techniken in Kunstwerke zu integrieren.
ACI: Mihai Grecu, vielen Dank für das spannende Interview.